Patellaluxation

Wichtige Information

Leider müssen wir Ihnen heute eine traurige Nachricht überbringen: Unser Herr Dr. Andreas Kasa ist am 17.01.2023 völlig unerwartet verstorben. Er hinterlässt menschlich und fachlich eine sehr große Lücke und wir alle können das nur schwer fassen. In tiefer Verbundenheit und Dankbarkeit sind unsere Gedanken bei seiner Frau, seinen Kindern und seiner Familie. Wir haben uns entschlossen, im Sinne von Andreas Kasa, weiterhin für tierärztliche Leistungen da zu sein. Bitte haben Sie jedoch Verständnis, dass unsere Leistungen hinsichtlich orthopädischer, neurologischer und diagnostischer Leistungen momentan nur eingeschränkt angeboten werden können. Sollten Sie Fragen zu weiteren spezialisierten Fachärzten in der Region haben, können wir Ihnen gerne bei Bedarf eine Empfehlung aussprechen.

Patellaluxation

Luxatio patellae (Kniescheibenluxation) ist bei kleineren Hunderassen die häufigste Lahmheitsursache im Kniegelenksbereich. Die kongenitale Form wird in mediale und laterale Luxatio patellae unterteilt und kommt meist bei jungen, noch wachsenden Hunden ein- oder beidseitig vor. Sie kann aber auch bei älteren Tieren in Verbindung mit anderen Krankheiten wie z. B. Morbus Cushing oder Diabetes mellitus manifest werden.

Die traumatische Patellaluxation sollte von der genetisch bedingten spontanen Form abgegrenzt werden. Sie tritt i. d. R. nach einem Unfall, meist nur einseitig auf und wird von einer akut aufgetretenen hochgradigen Lahmheit begleitet. Intraoperativ sind ein Hämatom, zerrissene Kollateralbänder auf der medialen oder lateralen Seite und v.a. eine normal ausgebildete Trochlea und Patella vorhanden.

Untersuchungsgang:  Abhängig davon, ob die Untersuchung für die Zuchttauglichkeit oder Behandlung einer Patellaluxation durchgeführt wird, gibt es gewisse Unterschiede. Die Untersuchung zur Bekämpfung der nicht-traumatischen Patellaluxation wird nach dem Schweizer Untersuchungsmodell empfohlen (GRUNDMANN et al., 1999). Demnach sollte die Untersuchung erst nach dem 10. Lebensmonat erfolgen. Die Untersuchung beinhaltet die Anamnese, eine Allgemein- und gründliche orthopädische Untersuchung mittels einer standardisierten Palpation  auf mediale oder laterale Patellaluxation. Röntgenologische Untersuchung ist für die Zuchtzulassung nicht erforderlich. In speziellen Kursen wird der Untersuchungsgang gelehrt und ein von den Zuchtverbänden anerkanntes Zertifikat für die Untersuchungsberechtigung erworben.

Wenn Lahmheitssymptome vorhanden sind, sollte die Untersuchung der Patellaluxation so früh wie möglich, d. h., schon bei 5-6 W. (!) alten Welpen erfolgen, um mit sofort eingeleiteten Therapiemaßnahmen einer später nur mit großem Aufwand zu korrigierenden Fehlentwicklung vorzubeugen.

Untersucht wird zuerst ohne Sedation oder Narkose beim Vorführen, am stehenden und am liegenden Tier. Beim Vorführen achtet man auf Gangart und Belastung der Hinterextremitäten, auf Varus- oder Valgusstellung, ferner Rotationsfehlstellung von Femur, Tibia, Knie- sowie Sprunggelenken und auf das Vorhandensein einer Muskelatrophie der Ober- und Unterschenkelmuskulatur. Danach kontrolliert man am stehenden und am auf der Seite liegenden Tier die Lage der Patella, mit und ohne Fingerdruck in Beugung, Streckung, Abduktion, Endo- und Exorotation.

Wird Patellaluxation festgestellt, so sollte die Femur-Tibia-Achse anhand einer ventro-dorsalen Röntgenübersichtsaufnahme, auf der Becken, Femora, Kniegelenke, Tibiae inklusive der Sprunggelenke abgebildet sind, überprüft werden. Bei Minirassen ist es leicht möglich, mit einer einzigen Aufnahme auszukommen. Bei größeren Hunden sollen zur Erfassung der ganzen Gliedmaße bis zum Sprunggelenk mehrere Röntgenaufnahmen in einer unveränderten Lagerung geschossen und erst danach entwickelt werden. Auf der medio-lateralen Aufnahme sollten außer dem Kniegelenk der proximale Femur und die distale Tibia mit dem Sprunggelenk abgebildet sein. Dabei achtet man auf die Formen von Femur und Tibiakopf, die Lage der Patella und auf evtl. vorliegende arthrotische Gelenkveränderungen. Eine tangential zur Trochlea patellaris geschossene Röntgenaufnahme zeigt die genaue Lage der Patella und die Ausbildung der Trochlea.

Mediale Patellaluxation

Die mediale Patellaluxation ist das augenfälligste Zeichen einer Fehlentwicklung der ganzen Gliedmaße. Sie kommt bei alle Rassen vor, prädestiniert sind Zwergrassen, wie Yorkshire Terrier, Klein- und Zwergpudel, Chihuahua, Papillon, Pekinese, Boston Terrier, Fox Terrier, Französische Bulldogge, Cavalier King Charles Spaniel, aber auch Chow-Chow, Shar-Pei, Appenzeller und Entlebucher Sennenhund. Art und Ausmaß der Fehlentwicklung sind unterschiedlich und umfassen:

a) verminderte Antetorsion und Varusfehlstellung des proximalen Femur,
b) Auswärtsrotation des Femur, 
c) Medialverlagerung der Quadrizepsmuskeln, 
d) Hypoplasie der medialen und Hyperplasie des lateralen Femurkondylus mit Abflachung der Trochlea patellaris, 
e) Einwärtsrotation und Valgus der Tibia, 
f) Verlagerung der Crista tibiae nach medial und 
g) Einwärtsstellung der Zehen.

Symptome:  Die patellare Fehlentwicklung wird in 4 Schweregrade unterteilt:

Grad I
Fortbewegung normal, selten Lahmheit, oft Zufallsbefund bei Untersuchung auf eine Lahmheit anderer Ursache (Perthes-Krankheit). Die Patella kann bei Streckung der Gliedmaße mit den Fingern nach medial luxiert werden und gleitet spontan zurück.

Röntgenbefund  Nur leichte Tibiarotation vorhanden.

Grad II
Zeigt sich ein Genu varum, Zehen einwärts rotiert, häufige spontane Luxationen während der Fortbewegung, angezeigt durch Tragen der Gliedmaße. Sind beide Gliedmaßen betroffen, wird beim Gehen das Strecken der Kniegelenke vermieden. Es besteht Rotationsinstabilität des Knies bis etwa 30 Grad und Einwärtsrotation der Crista tibiae beim Strecken des Kniegelenkes. Patella kann bei gestrecktem Gelenk leicht luxiert werden und verbleibt dann in luxierter Stellung.

Röntgenbefund  Besteht leichte Varusstellung des distalen Femur und leichte Valgusstellung der proximalen Tibia mit Osteophytenbildung am patellaren Trochlearand. Die Trochlea ist abgeflacht.

Grad III
Deutliches Genu varum mit Einwärtsrotation der distalen Gliedmaße. Bei einseitiger Luxation wird betroffene Gliedmaße getragen; bei beidseitigen Luxation erfolgt Fortbewegung mit kurzen Schritten und gebeugten Knien. Bei Kontraktion des M. quadriceps kann das Kniegelenk nicht gestreckt werden. Es besteht deutliche Rotationsinstabilität des Knies von 30-60 Grad sowie Einwärtsrotation der Crista tibiae und Tibia. Die luxierte Patella ist schwierig zu reponieren und reluxiert sofort wieder. Die Trochlea ist sehr flach und gelegentlich besteht zusätzlich ein vorderes Schubladenphänomen, infolge Überdehnung oder Riss des vorderen Kreuzbandes.

Röntgenbefund  S-förmige Verkrümmung von distalem Femur und proximaler Tibia mit schrägstehendem Kniegelenkspalt.

Grad IV
Gangbild entspricht Grad III, Welpen im Alter von 3-6 Mo. hüpfen oder belasten nur Vorderextremitäten. Es besteht ein Genu varum mit gebeugtem Knie. Patella ist nicht reponierbar (Ectopia patellae). Kontraktur der Flexoren des Knies ist palpierbar. Anstelle der Trochlea patellae ist eine runde Erhebung zu tastbar. Die Crista tibiae ist um 60-90 Grad nach medial gedreht.

Röntgenbefund  Veränderungen noch ausgeprägter als in Grad III.

Behandlung:  Chirurgische Korrektur sollte zum frühest möglichen Zeitpunkt erfolgen. Wird die Diagnose schon bei 5-6 Wo. alten Tieren (v.a. Pekinesen, Möpsen und anderen chondrodystrophischen Rassen) gestellt, so wird die Patella operativ in eine anatomisch korrekte Stellung gebracht und hier durch laterale Kapselraffung mit resorbierbarem Nahtmaterial fixiert. Die weniger als 8 Wo. alten Patienten sollten in wöchentlichen Abständen kontrolliert und bei einer erneuten Luxation sofort zwecks nochmaliger Kapselraffung reoperiert werden. Verlaufen die Zugkräfte des Quadrizepsmechanismus geradlinig über die Trochlea patellae zum distalen Extremitätenteil, so vermag sich die Gliedmaße durch den formativen Reiz des korrekten Muskelzuges entweder normal zu entwickeln oder zumindest kann eine Verschlechterung mit permanenter Patellaluxation verhindert werden.

Liegt die Tuberositas tibiae bis zu 30° medial bei Grad I, empfiehlt sich eine Kapselraffung oder Kapselüberlappung. Bei Grad II bis III (Tuberositas tibiae 30-60° gedreht) ist eine Trochleavertiefung und Transposition der Crista tibiae nach lateral zu empfehlen. Bei Grad IV ist, wegen der ausgeprägten s-förmigen Verkrümmung des distalen Femur und zu starker Innenrotation der proximalen Tibia eine Verlagerung der Tuberositas tibiae nicht möglich. Solche Formen können nur durch eine proximale Tibiaosteotomie  und u. U. zusätzlich durch eine distale Femurverkürzungsosteotomie (wegen der ausgeprägten Quadrizepskontraktur) einschließlich Trochleavertiefung und Kapselplastik korrigiert werden.

Wurde die Gliedmaße für längere Zeit beim Gehen hochgetragen, besteht meist eine so starke Quadrizepsatrophie und/oder Quadrizepskontraktur, dass ohne Arthrodese nur eine geringe Aussicht besteht, eine annähernd normale Gliedmaßenbelastung zu erreichen.

 

laterale Patellaluxation

Diese tritt v.a. bei jungen Hunden mittlerer und großer Rassen wie Pudel, Cocker Spaniel, Irischer Setter, Alaskan Malamute, Flat Coated Retriever, Pyrenäenhund usw., seltener auch bei älteren Tieren von Minirassen auf. Die Luxation besteht vielfach beidseitig. Die Klassifizierung erfolgt wie bei der medialen Luxation beschrieben, wobei Grad IV extrem selten ist.

Behandlung:  Besteht keine ausgesprochene Einwärtsrotation des Femur, wird die Luxation je nach Ausmaß mit Kapselraffung, Trochleavertiefung und medialer Transposition der Tuberositas tibiae korrigiert. In schwereren Fällen müssen je nach Typ der Missbildung Osteotomien des Femur und/oder der Tibia durchgeführt werden.